Aktuelles/Briefing Room

Studien und Co.

the industry we want "Dashboard": Die zweite Ausgabe des Dashboards zu den drei Wirkungsindikatoren - Löhne, Einkaufspraktiken und Treibhausgasemissionen - wurde veröffentlicht. Es fasst umfangreiche Lohndaten aus 28 Produktionsländern, Rückmeldungen von mehr als 1000 Zulieferer*innen aus 54 Ländern und neue Schätzungen der Emissionen des Bekleidungssektors zusammen. Der durchschnittliche prozentuale Abstand zwischen den Mindestlöhnen und dem geschätzten durchschnittlichen existenzsichernden Lohn beträgt 48,5%. Der Abstand hat sich im Vergleich zu 2022 um 3,5% vergrößert, was bedeutet, dass die Beschäftigten in der Bekleidungs- und Schuhindustrie weniger als die Hälfte des Geldes erhalten, das sie für einen angemessenen Lebensstandard benötigen. Auf einer möglichen Skala von -100 bis +100 erreicht der Wert bei den Einkaufspraktiken 40 (39 in 2022). Der Treibhausgas-Wert für 2023 beträgt 0,897 Gt. Das bedeutet, dass die globalen Emissionen des Bekleidungssektors im Jahr 2021 auf 896,9 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent (CO2e) geschätzt werden, was etwa 1,8% der jährlichen globalen Treibhausgasemissionen entspricht. Der überwiegende Teil der Emissionen entfällt auf Ebene 2, die Materialproduktion, mit über der Hälfte der Emissionen (53%), gefolgt von Ebene 4, der Rohstoffgewinnung, mit 23% (für die Ergebnisse des ersten Dashboards siehe das News Update der KW 8 aus '22, Video zu den diesjährigen Ergebnissen).

Asia Floor Wage Alliance & Global Labor Justice/International Labor Rights Forum "Big Fashion & Wall Street Cash in on Wage Theft" (PDF): Der Bericht zeigt, dass die Führungskräfte und Investor*innen von Nike, VF Corp. und Levi's ihre Gewinne durch Aktienrückkäufe und Dividenden in die Höhe getrieben haben, nachdem sie sich schnell von einer kurzen pandemischen Abschwächung im Jahr 2020 erholt hatten. In der Zwischenzeit hat die große Mehrheit der Bekleidungsarbeiter*innen, die im Jahr 2020 durchschnittlich 22% ihres normalen Lohns verloren haben, keine Entschädigung erhalten und befindet sich weiterhin in einer Dauerkrise, da die Fabriken immer noch Überstundenvergütungen vorenthalten oder Löhne unterhalb des Mindestlohns zahlen. Der neue Bericht knüpft an einen AFWA-Bericht aus dem Jahr 2021 mit dem Titel "Money Heist" an, in dem Tausende von Arbeitnehmer*innen zu Beginn der Pandemie in 189 Fabriken befragt wurden, die Kleidung für einige der weltweit größten Marken herstellen. Der Bericht dokumentierte 163 Mio. Dollar an entgangenen Löhnen, da die Bekleidungshersteller*innen die nationalen Gesetze zur Entlohnung der Arbeiter*innen umgingen (siehe News Update der KW 27 aus '21). 20 Gewerkschaften in sechs asiatischen Ländern schließen sich deswegen nun zusammen, um nach jahrelangen unbezahlten Lohnforderungen ein Ende der Aktienrückkäufe durch große Modeunternehmen mit Sitz in den USA zu fordern und starten dafür die "Fight the Heist"-Kampagne.

Changing Markets Foundation "Trashion: The stealth export of waste plastic clothes to Kenya" (PDF): Die Menge an Altkleidern, die aus der ganzen Welt nach Kenia strömt, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Auf jede*n Kenianer*in entfallen jährlich 17 Kleidungsstücke, von denen bis zu acht von vornherein Abfall sind. Im Jahr 2021 werden über 900 Millionen Kleidungsstücke aus aller Welt nach Kenia geschickt (genannte Exporteure sind die USA, Kanada, Australien, Großbritannien und die EU). Gegenwärtig werden mehr als zwei Drittel (69%) der Textilien aus Synthetikfasern hergestellt, und dieser Anteil wird bis 2030 voraussichtlich auf 73% ansteigen. Von den 112 Mio. Altkleidern, die jedes Jahr direkt aus der EU nach Kenia verschifft werden (über 40% davon aus Deutschland), enthält bis zu ein Drittel synthetische Fasern und ist von so schlechter Qualität, dass es sofort in die Umwelt entsorgt oder verbrannt wird. Die Umsetzung der EU-Textilstrategie ist ein wichtiger Hebel, um die Textilindustrie auf einen stärker kreislauforientierten Weg zu bringen und um Marken und Einzelhändler für ihre Textilabfälle zur Verantwortung zu ziehen (siehe dazu das News Update Special: Circularity von letzter Woche). Mit der anstehenden Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie sollte laut der Changing Markets Foundation eine gut durchdachte erweiterte Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility, EPR) mit verbindlichen Ökodesign-Anforderungen eingeführt werden, die Modeunternehmen für das Ende des Lebenszyklus der von ihnen auf den Markt gebrachten Produkte zur Verantwortung ziehen wird. Darüber hinaus müssen die Regierungen die Verbreitung von billigen Plastikfasern, die eine der Haupttriebkräfte der Fast-Fashion-Industrie sind, durch eine Steuer auf Neuprodukte aus z.B. Polyester regulieren. Damit wird sichergestellt, dass diejenigen, die von billiger Fast Fashion profitieren, auch die Kosten für die Entsorgung der Abfälle tragen (zum Summary (PDF) und zur Doku.

European Environment Agency "EU exports of used textiles in Europe’s circular economy": In dem Bericht werden die Muster und Trends der EU-Ausfuhren gebrauchter Textilien von 2000-2019 untersucht. Es wird gezeigt, wie die Ausfuhren von Jahr zu Jahr gestiegen sind und sich von einer Hauptausfuhr nach Afrika zu einer fast gleichmäßigen Ausfuhr nach Afrika und Asien entwickelt haben, und wie sich der globale Handel mit gebrauchten Textilien als Ware immer mehr spezialisiert. Die Menge der aus der EU exportierten Alttextilien hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten von etwas mehr als 550.000 Tonnen im Jahr 2000 auf fast 1,7 Millionen Tonnen im Jahr 2019 verdreifacht. Im Jahr 2019 landeten 46% der aus der EU exportierten Alttextilien in Afrika. Die Textilien werden vor allem vor Ort wiederverwendet, da es eine Nachfrage nach billiger, gebrauchter Kleidung aus Europa gibt. Was nicht zur Wiederverwendung geeignet ist, landet meist auf offenen Deponien und in informellen Abfallströmen (siehe nächster Punkt "waste colonialism"). 41% der aus der EU exportierten Alttextilien landeten 2019 in Asien. Die meisten dieser Textilien werden an spezielle Wirtschaftszonen weitergeleitet, wo sie sortiert und verarbeitet werden. Die gebrauchten Textilien werden dann meist zu Industrieputzlappen oder Füllmaterial downgecycelt oder zum Recycling in andere asiatische Länder oder zur Wiederverwendung in Afrika reexportiert. Textilien, die nicht recycelt oder reexportiert werden können, landen wahrscheinlich auf der Mülldeponie (zum Briefing). 

News

Waste Colonialism: In einem Artikel von Business of Fashion wird über "Abfallkolonialismus" gesprochen: Jedes Jahr werden Millionen Tonnen von Altkleidern im Rahmen des globalen Handels mit Secondhand-Kleidung in die ganze Welt verschifft. Zum Beispiel in Ghana kommen jede Woche etwa 15 Mio. Altkleider an, die größtenteils aus den Kleiderschränken nordamerikanischer, chinesischer und europäischer Verbraucher*innen stammen (mehr zum Altkleider-Problem in Ghana im News Update KW 37 aus '21). Ministerin Schulze und Minister Heil besuchten kürzlich den Kantamanto-Markt und die nicht weit entfernte Textilmüllhalde in Accra (auch FashionUnited berichtet). Schulze sagt "Ghana kann Recycling", aber eben nicht in diesen Mengen, die aus der Welt der Reichen hierher verschifft werden. "Wenn wir nicht so viel Müll hierhin liefern würden, sondern wirklich recycelbare Kleidung, sähe das anders aus", meint sie. Das Abfallproblem der Branche hat die Aufmerksamkeit der Regulierungsbehörden auf sich gezogen, und Vorschläge, Marken dafür verantwortlich zu machen, was mit der Kleidung am Ende ihrer Lebensdauer geschieht, gewinnen weltweit an Zustimmung. Die Or Foundation veröffentlichte dazu den Bericht "Stop Waste Colonialism! - Leveraging Extended Producer Responsibility to Catalyze a Justice-led Circular Textiles Economy" (PDF) und fordert gemeinsam mit der Kantamanto-Community in Accra eine einheitliche erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) für Textilien, die die Kosten der Abfallbewirtschaftung einbezieht und global haftbar ist (zur Petition). Der Vorschlag ist der Startschuss einer Kampagne zur Beeinflussung der Politik im Vorfeld des Sommers, wenn die EU-Kommission (im Zuge der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien) ihre Pläne für eine auf die Modebranche ausgerichtete EPR vorstellen soll.

Recherche Zalando-Retouren: Bei einer Investigativ-Recherche von Flip, Die Zeit und Vollbild (Südwestrundfunk) wurden zehn bei Zalando bestellte Kleidungsstücke mit GPS-Sendern ausgestattet und retouniert. Zalando verspricht Kund*innen klimaneutrale Retouren und behauptet auf der Website, dass 97% der retounierten Waren wieder im Shop verkauft werden (bei Zalando gehen pro Minute bis zu 480 Bestellungen ein, die Hälfte der Pakete wird wieder zurückgeschickt). Nach vier Tagen senden sieben der zehn Kleidungsstücke Signale aus Gardno, Polen, wo sich ein Logistikdienstleister befindet. Dort haben Sortierer*innen pro Retoure nicht mal eine Minute Zeit (Auspacken, Anschauen, Aufarbeiten, Einpacken und Weglegen). Textilien, die getragen wirken (z.B. Parfümgeruch) oder dreckig oder beschädigt sind, werden aussortiert. Eine ehemalige Arbeiterin erzählt, diese aussortierte Ware wurde in Schachtöffnungen an der Wand gekippt. Diese Röhren enden in Containern von Stena Recycling und die Kleidung darin wird höchstwahrscheinlich vernichtet. Ein Babystrampler reist nach Gardno weiter Richtung Danzig, dann zurück nach Swinemünde (Nordwesten Polens), von dort nach Malmö und Stockholm, weiter nach Dänemark, zurück nach Deutschland und dann wieder nach Polen - insgesamt 7000km. Alle zehn Kleidungsstücke reisen zusammen fast 29.000km bis sich die Spur verliert. Die Ursache für die Irrwege der Retouren nennt Retouren-Forscher Björn Asdecker „Predictive Analytics“, also vorhersagende Analytik. Jede Fahrt mit dem Lkw beruhe auf einer Spekulation, wo das Kleidungsstück als Nächstes am ehesten bestellt werden könnte. Auf Anfrage erklärt Zalando, dass die 97% nicht die Artikel einschließen, die von Partnern über Zalando verkauft werden - also Kleidungsstücke von über 800 Partnern. Zalando täuscht somit wissentlich die Kund*innen. Viel Zalando-Ware werde auch über "Zwischenhändler" an Großhändler weierverkauft. Deren Aufgabe sei es, die Waren aus dem Kernmarkt Europa rauszubringen - damit das Geschäft nicht mit billiger angebotener Ware kaputtgemacht wird (Recherche-Video von Volllbild).

Produktionsländer

Korruptionswahrnehmungsindex: Der Corruption Perceptions Index, CPI 2022 umfasst 180 Länder, die auf einer Skala von 0 (hohes Maß an wahrgenommener Korruption) bis 100 (keine wahrgenommene Korruption) angeordnet werden (zur tabellarischen Rangliste). Myanmar befindet sich auf Platz 157 (23 Punkte), Vietnam steigt zehn Plätze auf (Platz 77, 42 P.), Pakistan ist auf Platz 140 mit 27 Punkten und schneidet so schlecht wie nie ab, auch Indonesiens Platz verschlechtert sich und fällt auf Platz 110 (34 P.), Kambodscha verbessert sich und steigt auf Platz 150 (24 P.), title="Externer Link - öffnet sich in einem neuen Fenster/Tab" target="_blank" rel="noopener"Bangladesch befindet sich auf Platz 147 (25 P.) und Indien auf Platz 85 (40 P.)

Sri Lanka: Die neue Studie der Clean Clothes Campaign (CCC) "No Relief? - Why clothing brands must take responsibility for worker relief payments amidst the economic crisis in Sri Lanka" (PDF)zeigt, dass Arbeiter*innen in Sri Lanka nicht die volle Emergency Relief Allowance - ERA in Höhe von 10.000 LKR (28€) erhalten, die ihre verzweifelte Lage im Zuge der derzeitigen schweren Wirtschaftskrise lindern soll. Die finanzielle und politische Krise, die vor über einem Jahr in Sri Lanka begann und zum Sturz des Präsidenten führte, hat die rund 350.000 Bekleidungsarbeiter*innen im Land, die ohnehin schon am Existenzminimum leben, immens belastet (mehr zur Situation in Sri Lanka im News Update der KW 32 aus '22 und im Artikel von IndustriALL). Anstatt die Arbeitnehmer*innen und ihre Vertreter*innen in die Lösung einzubeziehen, ignoriert die neue Regierung Sri Lankas ihre Verpflichtung zum sozialen Dialog mit den Gewerkschaften und geht mit drakonischen Notstandsgesetzen gegen die Demonstrant*innen vor. In dem Papier werden die großen Marken, die ihre Produkte aus Sri Lanka beziehen (u.a. PVH (Calvin Klein, Tommy Hilfiger), Gap, Levi's, Nike, Victoria's Secret, Amazon, Asos, Next, Patagonia, Ralph Lauren) aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten in ihren Lieferketten bedingungslos nach dem ERA bezahlt werden und dass ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen im Einklang mit den Übereinkommen der ILO gewahrt bleibt. 

Unternehmen im Textilbündnis

Puma konnte ein überaus erfolgreiches Geschäftsjahr bilanzieren: 2022 stellte das Unternehmen neue Rekorde beim Umsatz und operativen Gewinn auf (Konzernumsatz von 8,47 Mrd. Euro (+18,9%) und damit der höchsten Stand in der Unternehmensgeschichte, Nettogewinn von 353,5 Mio. Euro +14,2%). Der Ausblick auf das laufende Jahr fiel angesichts zahlreicher geopolitischer, makroökonimscher und kommerzieller Unsicherheitsfaktoren aber eher verhalten aus. Außerdem hat Puma sich Zero100 angeschlossen, einer Gemeinschaft von Branchenführer*innen, die sich zum Ziel gesetzt hat, den CO2-Ausstoss in der Lieferkette durch Digitalisierung zu reduzieren.

Primark konnte seinen Umsatz in der ersten Hälfte des Geschäftsjahres 22/23 überraschend kräftig steigern. Die Erlöse seien im ersten Halbjahr (das Mitte März endet) voraussichtlich auf 4,8 Milliarden Euro (+16%) gestiegen. Primark habe in allen Märkten gute Geschäfte gemacht und die Erwartungen klar übertroffen. Für die zweite Jahreshälfte erwartet der Textilhändler zwar ein geringeres Umsatzwachstum als in den vergangenen Monaten, rechnet aber trotzdem damit, die bisherigen Erwartungen übertreffen zu können. Außerdem geht die Konzernführung nun davon aus, dass die um Sondereffekte bereinigte operative Marge auch im gesamten Geschäftsjahr über 8% liegen wird. Zu Begründung verwies das Unternehmen auf günstigere Rahmenbedingungen: Die Frachtkosten seien wieder „auf ein normaleres Niveau zurückgekehrt“ und die Energiepreise zuletzt „stark gesunken“.

Nach extrem guten Geschäftsjahren während der Corona-Pandemie rechnet Otto nun mit einem schlechteren Ergebnis. Nach einer ersten Prognose für das kommende Woche endende Geschäftsjahr 22/23 wird ein weltweiter Online-Umsatz in Höhe von etwa 12,1 Mrd. Euro erwartet (-2%). Grundsätzlich sei Otto mit den Online-Umsätzen zufrieden, sie lägen klar über jenen der Vor-Corona-Jahre. Für das kommende Geschäftsjahr rechne man mit einem niedrigen, einstelligen Wachstum. Grund sei der Krieg in der Ukraine mit den weiterhin unabsehbaren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und der Welt.

Der Umsatz von Adidas stieg vorläufigen Zahlen zufolge um 6% auf 22,5 Mrd. Euro (+1%). Damit schaffte Adidas gerade mal das untere Ende der mehrfach gesenkten Wachstumsprognose. Unter dem Strich verblieb ein Gewinn von 256 Mio. Euro (in 2021 waren es 1,5 Mrd. Euro).