Aktuelles/Briefing Room

Studien und Co.

Geneva Center for Business & Human Rights "Amplifying Misinformation - The Case of Sustainability Indices in Fashion" (PDF): Nach den Berichten "The Great Greenwashing Machine - Part 1: Back to the Roots of Sustainability" (PDF) (siehe News Update KW 38 '21), "The Great Green Washing Machine Part 2: The Use and Misuse of Sustainability Metrics in Fashion" (PDF) (siehe News Update KW 12 '22) und "The Rise of Life Cycle Analysis and the Fall of Sustainability - Illustrations from the Apparel and Leather Sector" (PDF) veröffentlichen Veronica Bates-Kassatly und Dorothée Baumann-Pauly nun einen vierten Bericht. Darin wird untersucht, was der Modesektor selbst als nachhaltig definiert und wie er dies misst. Insbesondere der Business of Fashion (BOF) Sustainability Index wird im Detail untersucht. Die Analyse zeigt deutlich, dass der Bekleidungssektor keines der international vereinbarten Ziele für 2030 erreichen wird - weder die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen noch die im Pariser Abkommen festgelegte Reduzierung der Treibhausgasemissionen (THG) um 45% bis 2030 -, wenn die Branche weiterhin die derzeitigen falschen Vorstellungen davon verfolgt, was eine Nachhaltigkeitsmetrik ist, und sich auf die Berichterstattung verlässt, um die Erfolge zu messen. Laut der Autorinnen sollten Marken die Verbraucher*innen nicht in die Irre führen dürfen, indem sie suggerieren, dass die Auswahl der Fasern ein Produkt nachhaltig macht, während in Wirklichkeit die Rohstoffproduktion nur einen kleinen Teil der lebenslangen Treibhausgasemissionen des Produkts ausmacht. Diejenigen, die ihre Nachhaltigkeit unter Beweis stellen wollen, müssten entweder in Ländern mit niedrigem Kohlendioxidausstoß produzieren oder in Anlagen in Ländern mit hohem Kohlendioxidausstoß produzieren, deren Eigentümer*innen stark in die Verringerung der Treibhausgasemissionen investiert haben. Was die Mode als Ganzes betrifft, so muss sie, um nachhaltig zu sein, weniger Artikel verkaufen.

IndustriAll "Building Union Power - Handbook on strategic corporate research and campaigning" (PDF): Um Gewerkschaften bei der Organisierung und bei Verhandlungen zu unterstützen, hat IndustriALL ein Handbuch für strategische Unternehmensforschung und Kampagnenarbeit für Gewerkschaften in der Textil- und Bekleidungsindustrie herausgebracht. Das Handbuch soll den Mitgliedsorganisationen ein klares Verständnis der strategischen Unternehmensforschung vermitteln und zeigen, wie diese bei Bekleidungsherstellern, Marken, Einzelhändlern und Einkaufshäusern angewendet werden kann. Das Handbuch bietet ebenfalls nützliche Einblicke in die Entwicklung strategischer Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung und zur Beseitigung unlauterer Arbeitspraktiken in der globalen Lieferkette. Es ist in Englisch sowie in den Sprachen der wichtigsten Herstellerländer von Konfektionskleidung erhältlich: Arabisch, Bangla, Bahasa, Khmer, Portugiesisch, Spanisch und Vietnamesisch.

Südwind Institut "What is a Gender Transformative OSH Approach? - A scheme for the footwear and garment sectors" (PDF): Das Papier stellt eine erste Auswertung eines gemeinsamen Projekts vom Südwind-Institut und FEMNET dar und ist eine Antwort auf die Notwendigkeit eines geschlechtsspezifischen Ansatzes bei Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit in der Schuh- und Bekleidungsindustrie. Autorin Dr. Jiska Gojowczyk erörtert, was eine geschlechtsspezifische Sichtweise bedeutet und wie unser Denken über Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit angepasst werden muss. Zudem wird die Wechselwirkung zwischen Geschlechternormen, Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit veranschaulicht. Die meisten heutigen Arbeitsschutzkonzepte sind geschlechtsblind und übersehen daher systematisch die vorherrschenden Probleme. In dem Papier wird ein Schema für eine Gender-Linse vorgestellt, die in allen Sektoren und Produktionsregionen angewendet werden kann.

Better Buying "Purchasing practices and factory-level noncompliances: How the available research can inform supply chain due diligence": Die Studie untersucht die verfügbaren Forschungsergebnisse, die den Zusammenhang zwischen Einkaufspraktiken und Verstößen dokumentieren, und kommt zu dem Ergebnis, dass die Einkaufspraktiken der Abnehmer*innen die größten Auswirkungen auf Verstöße in Bezug auf Arbeitszeiten, Arbeitsverträge und Arbeitnehmer*innenentschädigung haben. Diese Erkenntnisse können globalen Marken bei ihren Bemühungen um eine sorgfältige Prüfung der Lieferkette helfen und ihnen zeigen, wo sie in ihren eigenen Lieferketten nach möglichen Risiken suchen müssen. Teilnehmende des Better Buying Programms sollen so auch besser darauf vorbereitet sein, die Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen, indem sie die detaillierte Untersuchung ihrer eigenen Lieferketten nutzen, um in Zusammenarbeit mit ihren Lieferant*innen Menschenrechtsrisiken zu erkennen, bestehende Auswirkungen zu beseitigen und zukünftige zu verhindern.

News

Aktion #AdidasReality: Mitte Januar stand die Aktion #AdidasReality, welche die Clean Clothes Campaign in Zusammenarbeit mit den YesMen durchführte, im Rampenlicht und erregte weltweites Medieninteresse über Adidas’ Scheinheiligkeit und die PayYourWorkers-Kampagne. Darunter waren auch viele Berichte in wichtigen deutschen Zeitungen (u.a. SpiegelZEITn-tvfaz und tagesspiegel) und auch international wurde berichtet (z.B. im Guardian). Die Aktion begann mit einer Pressemitteilung der Domain adidas-group.com.de, in der u.a. angekündigt wurde, dass eine ehemalige Bekleidungsarbeiterin und Gewerkschaftsführerin aus Kambodscha, "Vay Ya Nak Phoan" ("Bekleidungsarbeiterin" auf Khmer) zur Co-CEO neben Bjørn Gulden (Adidas CEO) ernannt werden solle. Die darauf folgende Fake-Modenschau in Berlin zeigte die neue Bekleidungslinie "suffering-forward Realitywear" und sollte die Notlage der Adidas-Arbeiter*innen in den Produktionsländern widerspiegeln. Adidas distanzierte sich von der Aktion und wies die Vorwürfe von sich. Die CCC fordert Bjørn Gulden weiterhin auf, das Pay Your Workers-Abkommen zu unterzeichnen.

Deutsches Lieferkettengesetztagesschau berichtet: Eine Studie zur Umsetzung des Gesetzes in deutschen Unternehmen, die rbb24 Recherche exklusiv vorliegt, zeigt, dass sich die meisten Unternehmen noch nicht gut aufgestellt fühlen. Obwohl das Gesetz seit Jahresbeginn in Kraft ist, gaben nur etwa 4% der befragten Unternehmen an, dass sie auf der organisatorischen Ebene sehr gut darauf vorbereitet seien, 70% dagegen sehen sich mittelmäßig bis sehr schlecht aufgestellt. Durchgeführt haben die Studie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und das Risikomanagement-Unternehmen Integrity Next. Zum BME zählen fast 10.000 Mitglieder aus allen Branchen, darunter alle 40 DAX-Konzerne. Knapp 250 Mitgliedsunternehmen haben sich an der Umfrage beteiligt, vom Kleinunternehmen bis zum Konzern mit mehr als 50.000 Mitarbeiter*innen. Nur 13% der Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern haben volle Transparenz, wenn es um Risiken wie mögliche Menschenrechtsverletzungen bei ihren unmittelbaren Geschäftspartner*innen geht. 

EU-Lieferkettengesetz

  1. Während das deutsche Lieferkettengesetz seit dem 1.1.23 in Kraft getreten ist, versuchen deutsche Europa-Abgeordnete aktiv, ein wirksames EU-Lieferkettengesetz zu verhindern. Das kritisiert die Initiative Lieferkettengesetz in einem offenen Brief an den rheinischen Europaparlamentarier Axel Voss (CDU/EVP). Am 30.11.22 veröffentlichte der Abgeordnete Voss, Schattenberichterstatter im parlamentarischen Rechtsausschuss (JURI), 198 teils weitreichende Abänderungen zum aktuellen Gesetzesentwurf der EU-Kommission. Unter anderem fordern Voss und drei weitere Abgeordnete, diverse Vorgaben für Unternehmen zum Klimaschutz aus dem zukünftiges EU-Gesetz zu streichen. Die nachgelagerte Lieferkette und den Finanzsektor möchten Sie komplett ausklammern. Trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen in europäischen Ländern, etwa in der deutschen Fleischindustrie oder dem Obst- und Gemüseanbau in Südeuropa, sollen EU-Staaten von den Regelungen gänzlich ausgenommen werden. Die zivilrechtliche Haftung soll nach Voss auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden. Außerdem soll sich die vollständige Anwendung des Gesetzes für EU-Mitgliedstaaten um Jahre verzögern. In der Summe würden diese Vorschläge das EU-Lieferkettengesetz vollständig wirkungslos machen. In einer Recherche von Misereor und dem Global Policy Forum wurde zudem aufgedeckt, dass die Abgeordneten viele ihrer Vorschläge von Wirtschaftsverbänden übernommen haben, teilweise sogar wortwörtlich abgeschrieben (alle Infos dazu im twitter-Thread der Initiative Lieferkettengesetz).
  2. In einem Papier kritisiert FEMNET (in Kooperation mit weiteren NGOs) geforderte Schlupflöcher (Safe Harbours) für UnternehmenFEMNET. Immer wieder kommt es zu der Frage, ob Multi-Stakeholder-Initiativen (MSI) und Zertifizierungen als Nachweis zur Einhaltung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen eine Rolle spielen sollten und wenn ja, welche? Für die einen soll die Mitgliedschaft in einer MSI oder die Vorlage einer Zertifizierung bereits Beleg dafür sein, dass das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten einhalte. Andere erhoffen sich durch die Mitgliedschaft in MSI oder das Verwenden von anerkannten Zertifizierungen, dass Unternehmen für leichte Fahrlässigkeit nicht mehr zur Haftung gezogen werden können. All diese diskutierten Rollen für MSI und Zertifizierungen halten die unterzeichnenden NGOs für gefährliche Schlupflöcher zum Nachteil von Mensch und Umwelt, die es zu verhindern gilt. Auch ZDF frontal berichtete über die neue Lobbyschlacht in Brüssel und die Forderung der Bundesregierung nach einer Einschränkung der Haftungsregeln im EU-Lieferkettengesetz – offenbar auf Druck der FDP und der Industrie hin (siehe dazu auch das News Update der KW 43 '22). 

Produktionsländer

MyanmarFEMNET berichtet über den Ort Sar Lin Gyi, Region Sagaing, wo die Militärs Anfang Dezember systematisch 39 Häuser von gewerkschaftlich organisierten Textilarbeiter*innen niedergebrannt haben (weitere Fotos und Infos im Tweet von Khaing Zar Aung (IWFM)). 

Bangladesch

  1. Eine umfangreiche Umfrage unter 1.000 Herstellern in Bangladesch, durchgeführt von der Universität Aberdeen, dem Centre for Global Development und Transform Trade, ergab, dass große Modemarken ihre Hersteller unter den Produktionskosten bezahlten. So gaben 19% der Zulieferer von Lidl an, dass sie im Dezember 2021 ihre Waren unter dem Wert der Produktionskosten verkaufen mussten, für C&A gaben dies 11% an, für Kik 10%, für H&M 9%. Die Mehrheit der bangladeschischen Fabriken, die an 24 der größten globalen Einzelhändler*innen verkaufen, berichtet, dass sie fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie die gleichen Preise zahlen, obwohl die Kosten für Rohstoffe gestiegen sind. 90% der größeren Marken, die bei vier oder mehr Fabriken einkaufen, wurden beschuldigt, unfaire Einkaufspraktiken anzuwenden (hier geht's zur Studie "Impact of Global Clothing Retailers' Unfair Practices on Bangladeshi Suppliers During COVID-19"). Von den in dem Bericht aufgeführten Marken sind 12 Mitglieder der Ethical Trading Initiative, welche bereits Stellung zu den Anschuldigungen nahm
  2. Von 196 Protesten, die in 2022 in Bangladesch gemeldet wurden, fanden die meisten (115) innerhalb der Bekleidungsindustrie statt. Das Bangladesh Institute of Labour Studies (BILS) berichtet, dass die meisten Unruhen aufgrund von ausstehenden Zahlungen organisiert wurden. 1169 Menschen wurden 2022 an ihren Arbeitsplätzen getötet (alle Branchen). 

Indonesien: Die IndustriALL-Mitgliedsorganisationen in Indonesien haben die vom Präsidenten im Dezember letzten Jahres erlassene Notverordnung anstelle des Arbeitsbeschaffungsgesetzes (Perppu) verurteilt. Das umstrittene Omnibusgesetz, das offiziell als Gesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen bezeichnet wird, wurde im Oktober 2020 vom Parlament verabschiedet, aber vom indonesischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Ende Dezember 2022 erließ Präsident Joko Widodo eine Dringlichkeitsverordnung über die Schaffung von Arbeitsplätzen, um das Omnibusgesetz zu ersetzen, unter dem Vorwand, den Risiken der globalen Rezession im Jahr 2023 zu begegnen und mehr ausländische Investitionen auf Kosten der Arbeitnehmer*innenrechte anzuziehen. Die Gewerkschaften argumentieren, dass einige Bestimmungen in der Verordnung den Gouverneuren einen Ermessensspielraum bei der Festlegung des Mindestlohns einräumen. So könnten bestimmte Branchen von der Mindestlohnregelung ausgenommen und die Rechte der Arbeitnehmer*innen verletzt werden.

Unternehmen im Textilbündnis

Primarks Umsatz wuchs im wichtigen Weihnachtsgeschäft überraschend stark: In den 16 Wochen vor dem 7. Januar 2023 erwirtschaftete Primark demnach einen Umsatz in Höhe von rund 3,56 Mrd. Euro, was einer Steigerung um 18% (währungsbereinigt +15%) gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum entsprach. 

Hugo Boss: Dank kräftiger Umsatzzuwächse in Europa und Amerika hat Hugo Boss seinen Aufschwung in den Wochen vor dem Jahreswechsel fortgesetzt und so die erst im November angehobenen Prognosen für das gesamte Geschäftsjahr 2022 noch einmal übertroffen. Im Zeitraum von Okt-Dez belief sich der Konzernumsatz den vorliegenden Zahlen zufolge auf 1,07 Mrd. Euro, was einer Steigerung um 18% (währungsbereinigt +15%) gegenüber dem Vorjahresquartal entsprach. Der Konzern geht zudem von einer weiteren Ergebnisverbesserung aus: Auf Basis der vorläufigen Zahlen habe das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) im vierten Quartal eine Höhe von 104 Mio. Euro erreicht und sei damit gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4% gestiegen.