Aktuelles/Briefing Room

Studien und Co.

Greenpeace "Mehr SHEIN als Sein - Gefährliche Chemikalien und Naturzerstörung als Geschäftsmodell": Greenpeace hat 47 Artikel, darunter Kleidungsstücke und Schuhe für Männer, Frauen, Kinder und Kleinkinder über SHEIN-Webseiten in Österreich, Deutschland, Italien, Spanien und der Schweiz gekauft und vom unabhängigen Labor BUI (Bremer Umwelt Institut) untersuchen lassen. Das Ergebnis: Sieben Proben (15 Prozent) enthielten gefährliche Chemikalien, die gegen EU-Grenzwerte im Rahmen der REACH-Verordnung verstoßen. In 15 Produkten (32 Prozent) steckten gefährliche Chemikalien in besorgniserregenden Mengen. Da SHEIN direkt über seine App und die sozialen Medien online verkauft, gehen viele Transaktionen an den Behörden vorbei. Greenpeace fordert daher bessere Kontrollen und weitreichendere Richtlinien. Public Eye hat in einem Update sämtliche Recherchen zu SHEIN und die Reaktionen des Konzerns zusammengefasst und kritisiert das fehlende Problembewusstsein SHEINs. Das Unternehmen sei sich nich bewusst, dass die viel zu niedrigen Preise, die SHEIN  Fabriken zahlt zusammen mit den engen Lieferfristen und dem Druck, immer wieder neue Modelle zu produzieren, für viele Missstände bei den Geschäftspartner*innen mitverantwortlich sind. Werden bei den sporadischen Kontrollen Missstände entdeckt, müssen die Zulieferer sie beheben oder SHEIN kündigt die Zusammenarbeit auf. Mit einem neuen "Head of Sustainability", Sonderkollektionen und Charity-Offensiven betreibe SHEIN zudem Greenwashing und lenke von den eigentlichen Problemen ab (mehr zu SHEIN im News Update der KW 43).

ReMake "Fashion Accountability Report": Für den Bericht 2022 untersuchte ReMake 58 große Unternehmen, darunter auch die Textilbüdnisunternehmen H&M (32 von 150 möglichen Punkten), Adidas (26), Puma (26) und Primark (14). Insgesamt haben die untersuchten Unternehmen in den Kategorien wie folgt abgeschnitten: Rückverfolgbarkeit 11,3%, Löhne & Gesundheit 6,3%, Geschäftspraktiken 6,7%, Rohstoffe 10%, Umweltschutz 9.5%, Unternehmensführung 7,1%. Zudem untersucht der Bericht, ob die Unternehmen den Accord unterschrieben haben, ob sie sich zu Zwangsarbeit der Uiguiren in Xinjiang positionieren und ob sie sich zum verantwortungsvollen Umgang mit pandemiebedingtem Lohndiebstahl verpflichten. Der Bericht offenbart große Defizite in der Branche: Nur 3% der untersuchten Unternehmen (ASOS & Puma) veröffentlichten Lieferantenlisten, die eine vollständige Rückverfolgung bis hin zu den Tier-3-Verarbeitungsbetrieben in einer Detailtiefe ermöglichen, die ausreicht, um den Transparency Pledge zu erfüllen; keines der Unternehmen zahlt allen Arbeiter*innen in den Lieferketten einen Existenzlohn; keines hat in angemessener Weise nachgewiesen, dass es die Arbeitsrechte und das Wohlergehen der Rohstoffproduzent*innen aktiv schützt; keines war ausreichend transparent darüber, was mit der im Rahmen seiner Rücknahmeprogramme gesammelten Kleidung geschieht, z.B. welcher Anteil in den globalen Süden exportiert wird. 

International Labour Organization "Asia–Pacific Employment and Social Outlook" (PDF): Der Bericht fasst die neuesten Statistiken zusammen, um die Auswirkungen auf Arbeiter*innen und Unternehmen in der Region seit Beginn der COVID-19-Pandemie vor fast drei Jahren zu aktualisieren. Außerdem werden die längerfristigen Trends untersucht, um ein detailliertes Bild davon zu erhalten, wo und wie die Menschen in der Region arbeiten, wobei der Schwerpunkt auf der sektoralen Zusammensetzung der Beschäftigung und ihrer Beziehung zu menschenwürdiger Arbeit und Entwicklungsergebnissen liegt. Fast jeder vierte Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe der Region arbeitet im Bekleidungssektor. Dieser Sektor ist somit zwar der beschäftigungsstärkste Teilsektor des verarbeitenden Gewerbes, gleichzeitig aber auch der einzige, der sowohl in den Jahren vor als auch während der Pandemie schrumpfte. Vor dem Hintergrund zunehmender wirtschaftlicher, politischer und ökologischer Unsicherheiten argumentiert die ILO, dass die Länder nur durch eine Umgestaltung der Funktionsweise der Arbeitsmarktinstitutionen den Durchbruch zu einer menschenzentrierten Zukunft der Arbeit schaffen können, die mit integrativem und nachhaltigem Wachstum verbunden ist.

News

EU-Lieferkettengesetz: Der Rat hat seine Verhandlungsposition ("allgemeine Ausrichtung") zur Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit (PDF) festgelegt. In der Pressemitteilung des Rates heißt es "Die Richtlinie wird der EU helfen, den Übergang zu einer klimaneutralen und grünen Wirtschaft zu vollziehen, wie sie im Europäischen Green Deal und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung beschrieben ist". Durch Briefe (PDF) an die Minister*innen übten ECCJ (European Coalition for Corporate Justice) mit 50 weiteren NGOs im Vorfeld Druck auf den Rat aus, eine strenge Richtlinie zu unterstützen. Die Initiative Lieferkettengesetz kritisiert nun in einer Pressemitteilung, dass Waffenexporte nicht erfasst werden und für Finanzdienstleistungen nur sehr eingeschränkte Sorgfaltspflichten vorgesehen sind. Außerdem müssten sich Exporteure nicht mit der Verwendung ihrer Produkte beschäftigen. Damit wären zum Beispiel Agrarkonzerne fein raus, selbst wenn ihre Pestizide die Gesundheit von Bauern und Plantagenarbeiterinnen schädigen. Zudem kündigte die Bundesregierung in einer Protokollnotiz an, dem EU-Lieferkettengesetz am Ende nur zuzustimmen, wenn geforderte Schlupflöcher enthalten sind ("Safe Harbour"): Wer bestimmte Zertifizierungen verwendet oder sich an Branchenstandards beteiligt, würde demnach selbst für fahrlässig verursachte Schäden nicht haften. Positiv ist jedoch, dass die Richtlinie für die gesamte Lieferkette gelten soll und Unternehmen vor Zivilgerichten in der EU für Schäden haften, die sie durch Verstöße gegen Sorgfaltspflichten verursacht haben. 

Tazreen-Brand: Vor zehn Jahren, am 24.11.2012, starben bei dem Fabrikbrand von Tazreen 117 Menschen. Genau sechs Monate später starben in den Trümmern von Rana Plaza 1.135 Menschen. Das „Abkommen für Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch“ (Bangladesh Accord) war eine Reaktion auf diese Tragödien und hat erfolgreich dazu beigetragen, derartige Unglücke in der Bekleidungsindustrie zu verhindern. Dennoch haben führende Unternehmen, die in Bangladesch produzieren lassen, das Abkommen bis heute nicht unterzeichnet, unter ihnen: Tom TailorDeichmannIKEA und AmazonFEMNET und ECCHR haben sich deswegen gemeinsam mit weiteren Unterstützer*innen an die genannten Unternehmen gewendet und sie aufgefordert, den Accord zu unterzeichnen, um Ihre Sorgfaltspflicht im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu erfüllen – so wie es auch ab 2023 das deutsche Lieferkettengesetz vorsehen wird. Sie erklärten, dass sie davon überzeugt sind, dass die Nichtunterzeichnung des Accord eine Verletzung der Sorgfaltspflicht ist und kündigten an, deswegen mit der Umsetzung des Lieferkettengesetzes alle verfügbaren juristischen Mittel nutzen, um die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen (hier geht es zum zusammenfassenden Reel auf Instagram). Opfer und Hinterbliebene des Fabrikbrandes haben bis heute keine Gerechtigkeit erfahren, da der Anklageprozess in Bangladesch ins Stocken geraten ist. 

WM & Adidas: In einer gemeinsamen Recherche untersuchten flip und Die Zeit das deutsche Nationaltrikot. Adidas gibt an, dass das "Performance-Version"-Shirt besonders nachhaltig sei und wirbt damit, dass das Garn des Shirts zur Hälfte aus "recyceltem Plastikmüll, der auf abgelegenen Inseln, an Stränden und in Küstenregionen von Parley for the Oceans gesammelt wird" bestehe. Die Recherche deckt jedoch auf, dass ein Großteil des Ozeanplastiks das Adidas nutzt, nicht von Sammelaktionen, die Parley for the Oceans organisiert und überwacht, stammen. Der Anteil, den die Umweltorganisation liefert liegt laut flip und Zeit nur bei etwa 20%. Die restlichen 80% stammen aus einer zweiten Lieferkette, die Adidas selbst organisiert. In den Dokumenten werden sie als "Volume Countries" - Masse-Länder - bezeichnet: Dominikanischen Republik, Thailand und die Philippinen. Auf den Philippinen gibt es formelle Müllsammler*innen, der Großteil der Sammler*innen sei jedoch informell und arbeitete unter erbärmlichen Umständen zu nicht ausreichenden Löhnen. Zudem gäbe es auch zahlreiche Kinder, die Müll sammeln, um ihre Familien zu unterstützen. Interne Mails von Adidas, die flip vorliegen, machen deutlich, dass sich eine Mangerin schon vor zwei Jahren Gedanken um Menschenrechtsverstöße bei Zulieferern von Ozeanplastik machte - Adidas weist Anschuldigen auf Kinderarbeit jedoch von sich. Nachdem Adidas mit den Ergebnissen der Recherchen konfrontiert wurde, teilt Adidas mit, der Abfall "stammt ausschließlich von Stränden und aus Küstenregionen in Thailand". Parley ist jedoch nicht in Thailand tätig, der Anteil von Ozeanplastik, das von Parley kommt läge demnach also bei 0% - und trotzdem schreibt Adidas in den Halsausschnitt des Trikots: "Made with Parley Ocean Plastic". Falls die Vorwürfe stimmen, wäre das Etikettenschwindel. In einem Artikel der New York Times wurde aufgedeckt, dass Arbeiter*innen aus Yangon, Myanmar weniger als 3$ am Tag verdienen, um Adidas Schuhe herzustellen. Der Bericht geht außerdem auf Fälle von Gewerkschaftszerschlagungen ("Union Busting") bei Adidas-Lieferanten ein (siehe dazu auch das News Update der KW 45 zu Union Busting in Myanmar). 

Produktionsländer

Allgemeines Update: Die gesunkene Nachfrage führt weiterhin in vielen Ländern dazu, dass Fabriken geschlossen und Arbeiter*innen entlassen werden. In Ludhiana (Indien) sei die Nachfrage in vielen Branchen auf 40-50% gesunken, viele Arbeiter*innen werden aufgefordert, bis zu zwei Monate zu pausieren. In Vietnam betrifft die geringe Auftragslage ca. 630.000 Arbeiter*innen (u.a. Textil- und Elektrobranche), etwa 570.000 wurden die Arbeitszeiten gekürzt, etwa 34.000 haben ihren Arbeitsplatz verloren. In Ho-Chi-Minh müssen ca. 50.000 Arbeiter*innen (vor allem aus der Textilbranche) mit geringeren Löhnen auskommen. In Chattogram (Bangladesch) haben über 20 Fabriken angekündigt, die Produktion für 45 Tage zu pausieren. Bereits 170 der 500 Fabriken in Chattogram wurden in den letzten Monaten zeitweise geschlossen. Auch aufgrund des Gasmangels sei die Produktion um 40-50% gesunken

China: Der Brand in einer Fabrik in der zentralchinesischen Provinz Henan, bei dem 38 Menschen ums Leben kamen, wurde laut Medienberichten durch Elektroschweißarbeiten unter Missachtung der Vorschriften verursacht. Viele der Opfer seien Frauen gewesen, die in der Fabrik Winterkleidung und Hosen aus Baumwolle herstellten. Eine erste Untersuchung ergab, dass ein Schweißvorgang im ersten Stock, der auch als Lager genutzt wurde, für den Unfall verantwortlich war. Bei dem Vorgang entzündeten sich Baumwollfasern, die dann große Stapel von Stoffen in Brand setzten. Viele der Opfer die sich im zweiten Stockwerk befanden erstickten

Kambodscha: Der 97-seitige Bericht, "Only 'Instant Noodle' Unions Survive: Union Busting in Cambodia's Garment and Tourism Sectors" von Human Rights Watchdokumentiert, wie die kambodschanische Regierung und einige Arbeitgeber während der Pandemie in Kambodscha verschiedene rechtliche und administrative Taktiken angewandt haben, um die unabhängige Gewerkschaftsbewegung in Kambodscha zu schwächen und die Rechte der Arbeitnehmer*innen zu verletzen. Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen, haben unabhängige Gewerkschaften bestraft und gleichzeitig arbeitgeberfreundliche Gewerkschaften begünstigt, die sich schnell bei der Regierung registrieren lassen konnten, wie "Instant-Nudeln machen", um es mit den Worten eines prominenten Gewerkschaftsführers zu sagen. In Phnom Penh kam es Anfang November zu Protesten von Arbeiter*innen, nachdem eine Gewerkschaftsführerin entlassen wurde. Nach den Protesten wurden zwei weitere Arbeiterinnen entlassen, die eine Gewerkschaft gründen wollten. Eine Arbeiterin sagte, sie werde eine Beschwerde beim Arbeitsministerium einreichen, um die drei Beschäftigten wieder einstellen zu lassen. Die Fabrik hatte bereits im August fünf Arbeiter*innen entlassen, aber ein Protest von rund 800 Arbeiter*innen führte zu ihrer Wiedereinstellung.

Unternehmen im Textilbündnis

Adler erhält vorerst keine höhere staatliche Überbrückungshilfe. Eine entsprechende Klage des Unternehmens wurde im November vom Verwaltungsgericht Würzburg abgelehnt. Adler hatte Hilfen in Höhe von knapp 43,7 Mio. Euro beantragt. Im Dezember 2021 wurden nach Angaben der IHK aber nur 14,7 Mio. Euro ausgezahlt. Die IHK erläuterte die Entscheidung in einem Statement: „Nach Auffassung des Gerichts konnte Adler nicht nachweisen, in welchem Zeitraum sich der Einzelhändler in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand und welche Firmen dem Unternehmensverbund zuzurechnen sind“. 

Gerry Weber bestätigt seine Jahresprognosen und geht für 2022 weiterhin von einen Umsatz im Bereich von 315-340 Mio. Euro aus. Von Januar bis September lag der Umsatz bei 247,4 Mio. Euro und damit um 30,2% über dem entsprechenden Vorjahresniveau. In allen drei Vertriebskanälen konnte Gerry Weber kräftig wachsen: Eigener stationärer Einzelhandel 116,0 Mio. Euro (+34,4%), E-Commerce 41,5 Mio. Euro (+35,6%), Großhandelsgeschäft 89,8 Mio. Euro (+23,0%).

Adidas: Im dritten Quartal belief sich der Konzernumsatz von Adidas auf 6,41 Mrd. Euro (+11,4%). Jedoch hatte das Unternehmen seine Jahresziele bereits im Oktober aufgrund der schwächeren Rahmenbedingungen gesenkt (siehe News Update der KW 45). Aufgrund der beendeten Partnerschaft mit dem umstrittenen US-Rapper Kanye "YeWest hat Adidas die Umsatz- und Margenprognose überraschend noch einmal gesenkt und geht im laufenden Jahr nun beim Gewinn von 250 Mio. Euro aus (statt 500 Mio. wie Mitte Oktober). 

Primark hat das Geschäftsjahr 21/22 wie erwartet mit kräftigen Zuwächsen beim Umsatz und Ergebnis abgeschlossen. Im zurückliegenden Geschäftsjahr belief sich der Umsatz demnach auf knapp 7,7 Mrd. Britische Pfund (8,8 Mrd. Euro). Damit übertraf er das Niveau des Vorjahres um 38%. Mit der Geschäftsentwicklung in Großbritannien, Irland und den USA zeigte sich das Unternehmen weitgehend zufrieden. In Kontinentaleuropa sei das Vertrauen der Verbraucher*innen derzeit schwächer als vor der Pandemie (Erlöse um 16% unter dem Niveau des Jahres 18/19). Besondere Sorgen bereitet Primark weiterhin der deutsche Markt: Aufgrund der sinkenden Flächenproduktivität sei die Rentabilität der Standorte in Deutschland inzwischen auf ein „inakzeptables Niveau“ abgesackt. Primark veröffentlichte zudem den "Primark Sustainability and Ethics Progress Report 2021/22", in dem Ergebnisse der Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt werden. Konkret verpflichtet Primark sich, in vier Hauptbereichen nachhaltiger zu werden: Verwendung von nachhaltigeren Materialien, Auslegung des Designprozesses auf Recycling, Verwendung von weniger CO2 und Einwegplastik, Garantie von existenzsichernden Löhnen und faire Arbeitsbedingungen. Für den letzten Punkt arbeitet Primarku.a. mit dem Anker Research Institute und ACT zusammen. Ein existenzsichernder Lohn für die Arbeiter*innen in Primarks Lieferketten (Bangladesch, Kambodscha, Türkei und Vietnam) soll erst 2030 erreicht werden.