Aktuelles/Briefing Room

Studien und Co.

Business & Human Rights Resource Centre "Unpicked - Fashion & Freedom of Association" (PDF): In diesem Bericht werden Vorwürfe über Gewerkschaftsfeindlichkeit und damit verbundene Missstände in 13 Fabriken aufgezeigt. Diese Fabriken beliefern (oder belieferten kürzlich) mindestens 15 globale Modemarken, darunter auch die Textilbündnis-Unternehmen adidas, C&A, H&M, HUGO BOSS und Primark. Es wurden 24 Gewerkschaftsführer*innen und 124 Gewerkschafter*innen in Bangladesch, Kambodscha, Indien, Indonesien und Sri Lanka befragt. Fast zwei Drittel (61%) der Befragten gaben an, dass sich die Situation in Bezug auf die Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen seit der Pandemie verschlechtert hat. Fast die Hälfte (48%) der Befragten berichtete über eine Zunahme von Diskriminierung, Einschüchterung, Bedrohung und Belästigung von Gewerkschaftsmitgliedern. Die Ergebnisse zeigen, dass eine über Sozialaudits hinausgehende Sorgfaltspflicht, ein proaktives Engagement der Marken bei den Zulieferer*innen zum Schutz der Vereinigungsfreiheit und die Einführung eines verbindlichen Rahmens für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erforderlich sind. Marken und Zulieferer*innen werden ermutigt, durch Tarifverhandlungen und verbindliche Vereinbarungen zwischen den wichtigsten Interessengruppen in einen ehrlichen Dialog mit den Arbeitnehmer*innen und ihren Vertreter*innen zu treten.

INKOTA "Arbeitspapier: Ein effektives System für Beschwerde und Abhilfe innerhalb transnationaler Lieferketten - Fokus: Leder, Lederprodukte und Schuhe": Das Arbeitspapier präsentiert außergerichtliche Beschwerdemechanismen und gibt konkrete Empfehlungen für den Aufbau effektiver und UN-Leitprinzipien konformer Systeme. Zusätzlich identifiziert es branchenspezifische Rahmenbedingungen und Herausforderungen. Das Arbeitspapier soll mit wissenschaftlicher Expertise die Diskussion zur ambitionierten Umsetzung des Due Diligence-Ansatzes im Kontext der Ausgestaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) voranbringen (mehr Informationen zu Arbeitsrechtsverletzungen in Lieferketten von Lederwaren in News Update der KWs 38 und 42).

Textile Exchange "Preferred Fiber & Materials Market Report" (PDF) & "Organic Cotton Market Report" (PDF): 1. Die weltweite Faserproduktion ist auf einen Rekordwert von 113 Mio. Tonnen gestiegen. Diese Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt und wird voraussichtlich bis 2030 auf 149 Mio. Tonnen ansteigen. Polyester hat mit 54% immer noch den höchsten Marktanteil aller Fasern, von denen nur 14,8% recycelt werden. Der Marktanteil von "bevorzugter" Baumwolle, die im Rahmen der von Textile Exchange anerkannten Programme (z.B. Better Cotton) angebaut wird, ist in '21 von 27% auf 24% gesunken. Der Anteil der recycelten Fasern stieg zwar von 8,4% auf 8,9% im Jahr 2021, doch ist dies hauptsächlich auf die Verwendung von Polyesterfasern auf Flaschenbasis zurückzuführen. Weniger als 1% des globalen Fasermarktes besteht aus recycelten Textilien. 2. Nach den Schätzungen von Textile Exchange wurden in der Ernte 20/21 weltweit 342.265 Tonnen Bio-Baumwollfasern auf 621.691 Hektar zertifizierter ökologischer Fläche produziert. Ebenso wurden 180.726 Tonnen Fasern in Umstellung auf ökologischen Landbau auf 293.204 Hektar produziert. Dies bedeutet ein Wachstum von 37% bei Bio-Fasern. Die vom ICAC gemeldete Gesamtbaumwollproduktion für 20/21 von insgesamt 24.380.507 Tonnen lässt darauf schließen, dass 1,4% der gesamten Baumwolle aus ökologischem Anbau stammen. Die Gesamtzahl der Länder, die 20/21 zertifizierte Bio-Baumwolle anbauen, blieb bei 21, aber es gab einige Änderungen in der Verteilung: Thailand, Myanmar und Senegal produzierten 20/21 aufgrund von Überschwemmungen, politischer Instabilität und Zertifizierungsproblemen keine zertifizierte Bio-Baumwolle. Allerdings bauten zwei neue Länder - Spanien und Kasachstan - zum ersten Mal Bio-Baumwolle an, und Argentinien kehrte in die Zertifizierung zurück.

Yarn Ethically & Sustainably Sourced  & Responsible Sourcing Network "YESS Standard for Spinning Mills" & "YESS Standard for Fabric Mills": Die Dokumente sind ein spezifischer, praktischer Rahmen für die Bewertung der Betriebsabläufe und Beschaffungsverfahren von Baumwollspinnereien sowie von Webereien und Strickereien für Baumwollgewebe. Sie sind ein Leitfaden für Fabriken, um das Risiko von Zwangsarbeit in der Baumwollproduktion zu erkennen, zu bewerten und zu bekämpfen. Diese Dokumente wurden unter Mitwirkung von Marken und Einzelhändler*innen, Spinnereien und Stofffabriken, Industrieverbänden, Organisationen der Zivilgesellschaft und Arbeitsexpert*innen entwickelt und können nach Eingabe von Name und E-Mail-Adresse heruntergeladen werden. 

News

SHEIN: Eine neue Untersuchung mit versteckter Kamera des britischen Senders Channel 4 mit dem Titel „Untold: Inside the SHEIN Machine“ hat die Bedingungen aufgedeckt, unter denen Arbeiter*innen in einigen der chinesischen Fabriken schuften. Die Arbeiter*innen verdienen höchstens 570€ pro Monat für die Herstellung von 500 Kleidungsstücken pro Tag. Andere wiederum erhalten kein Grundgehalt, sondern nur 0,27 Yuan (drei Cent) pro produziertem Kleidungsstück. Dem Bericht zufolge werden die Beschäftigten mit einer Geldstrafe in Höhe von zwei Dritteln ihres Tageslohns belegt, wenn sie auch nur einen Fehler machen. In einer der Fabriken wuschen sich die weiblichen Beschäftigten in der Mittagspause die Haare, weil nach der Arbeit so wenig Zeit blieb. SHEIN stellt jeden Tag hunderte neuer Kleidungsstücke auf die Website, die häufig für wenige Euro verkauft werden. Ein Sprecher des Unternehmens erklärte nach der Veröffentlichung der Untersuchung: „Jede Nichteinhaltung dieses Kodexes wird umgehend geahndet, und wir werden Partnerschaften beenden, die nicht unseren Standards entsprechen“. Bereits Ende 21 veröffentlichte Public Eye Ergebnisse einer mehrmonatigen Recherche zu SHEIN und kritisierte die Arbeitsbedinungen in den Fabriken und nannte Arbeitsrechtsverletzungen wie z.B. Arbeitstage von bis zu zwölf Stunden – und dies oft sieben Tage pro Woche, keine Zuschläge für Überstunden, Anstellungen ohne Arbeitsverträge und massive Verstösse gegen Sicherheitsstandards. In einem kürzlich erschienenen Interview erläutert David Hachfeld von Public Eye der DW Deutschland die Ergebnisse der Untersuchung.

EU-Lieferkettengesetz: Nachdem die Bundesregierung Anfang September verkündete, den Entwurf für ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene unterstützen zu wollen (siehe News Update der KW 36), zeigt die MONITOR-Sendung vom 27.10.22 ein anderes Bild: Interne Dokumente der zuständigen Bundesministerien und aus den EU-Ratsverhandlungen, die MONITOR exklusiv vorliegen verdeutlichen: Deutschland versucht, den Vorschlag der Kommission an entscheidenden Punkten abzuschwächen. Die Bundesregierung fordere nun - genau wie die Unternehmerverbände - eine "Save Harbour"-Regelung. Dabei geht es um Haftungserleichterungen für die Unternehmen. Diese können ihre Produkte oder Prozesse von externen Prüfer*innen als vermeintlich einwandfrei zertifizieren lassen. Für die zivilrechtliche Haftung hat das Folgen: Unternehmen haften bei einem Schaden nur noch bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Das den Unternehmen nachzuweisen, sei für Opfer nahezu unmöglich, meint der Sozialdemokrat René Repasi. Die Europäische Kommission will Unternehmen außerdem dazu verpflichten, die Risiken in ihrer Lieferkette genau zu ermitteln und zwar vor allem solche, bei denen besonders schwere und wahrscheinliche Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Bundesregierung will das einschränken – und zwar auf jene Risiken bei denen das Unternehmen Einflussmöglichkeiten hat. In einem Twitter-Thread erläutert MEP (Mitglied des Europäischen Parlaments) Anna Cavazzini den aktuellen Stand zum Gesetzgebungsprozess des EU-Lieferkettengesetzes, welche Ausschüsse beteiligt sind und wann Rat und Parlament einen endgültigen Gesetzestext vorschlagen könnten.

Facilty Checker: Das neue Suchtool der Clean Clothes Campaign ermöglicht es, nach Modebetrieben zu suchen und Informationen über die Löhne der Arbeiter*innen, Lücken bei existenzsichernden Löhnen und Marken zu finden, die diese Betriebe beliefern. Der Facility Checker wurde für Organisationen entwickelt, um detaillierte Informationen über die Betriebe zu liefern, die z.B. für Fallstudien und dringende Appelle wichtig sind: Name der Einrichtung; Anzahl der Beschäftigten; Geschlechterverteilung der Beschäftigten; durchschnittlicher monatlicher Nettolohn; Kluft zwischen dem Lohn und einem existenzsichernden Lohn; Name der Modemarke(n), die von der Fabrik beziehen; das Jahr, in dem die Modemarke von der Fabrik bezogen hat; ob sich die Modemarke öffentlich dazu verpflichtet hat, in ihrer Lieferkette einen existenzsichernden Lohn zu zahlen. Das Tool wurde als Ergänzung zum Fashion Checker entwickelt, der sich an Verbraucher*innen wendet. Beide Plattformen werden von der offenen Datenplattform WikiRate entwickelt und betrieben. 

Produktionsländer

Region Naher Osten und Nordafrika (MENA): Textilgewerkschaften in Marokko, Jordanien, Tunesien, Ägypten und Palästina haben die Kampagne "Garment Workers Need Safe Factories" gestartet, um für Sozialschutz und bessere Gesundheits- und Sicherheitsstandards in den Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederfabriken (TGSL) der Region zu kämpfen. Die Textilgewerkschaften schließen sich damit der weltweiten Forderung nach sicheren Arbeitsplätzen an. Im Oktober 21 handelte IndustriALL die Internationale Vereinbarung über Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie (ACCORD) aus, die inzwischen von über 180 globalen Marken und Einzelhändler*innen unterzeichnet wurde.

Myanmar: Die Zeitschrift südostasien berichtet über den Kampf um die Informationshoheit in Myanmar. Auf der einen Seite gibt es die vom Militär kontrollierten Staatsmedien, auf der anderen Zeitungen oder Medienunternehmen, die aus dem Untergrund oder Ausland im Sinne der demokratisch gewählten, aber entmachteten Regierung berichten. Die vom Militär kontrollierten Medien und die Opposition vertreten eigene Interessen und berichten unterschiedlich über Gefechte zwischen der Armee und Widerstandsgruppen oder Milizen. Was tatsächlich geschehen ist, ist meist kaum festzustellen. Das Militär blockiert soziale Medien und Internetseiten. Einigermaßen verlässliche Quellen sind internationale Medien wie Channel News Asia, englischsprachige Medienhäuser wie Frontier Myanmar oder The Irrawaddy, die jetzt aus dem Untergrund oder von Thailand aus berichten, oder die BBC, die einen birmanischen Sprachendienst hat. Wer in Myanmar wissen will, was tatsächlich passiert, muss sowohl die Staats- als auch die Oppositionsmedien lesen und anschließend kleinteilige Informationen aus den Sozialen Medien und lokalen Zeitungen zusammentragen. Das können viele nicht leisten. Zudem mangelt es im Land an Medienkompetenz, vielen fällt es schwer, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. IndustriALL bekräftigt erneut die Forderung nach der sofortigen Freilassung aller politischen Gefangenen in Myanmar, insbesondere der mehr als 60 Gewerkschafter*innen, und wiederholt den Aufruf an die Vereinten Nationen, die NUG (National Unity Government) als die einzige und wahre demokratische Regierung Myanmars anzuerkennen.