Aktuelles/Briefing Room

Studien und Co.

INKOTA "Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen in der Lederindustrie von Bangladesch - Ergebnisse einer Umfrage unter Gerbereiarbeiter*innen": Der neuen Studie von INKOTA und der Bangladesh Labour Foundation (BLF) liegt eine umfangreiche Recherche im Gerberei-Zentrum Savar zugrunde, bei der 120 Arbeiter*innen aus 26 Gerbereien befragt wurden. Dieses Industriegebiet wurde neu entwickelt aufgrund von schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen in Hazaribagh. Mit dem Ziel, internationale Umweltstandards erfüllen zu wollen, kündigte die Regierung die Umsiedlung an und versprach dabei bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Aus der Umfrage geht hervor, dass 111 der 120 befragten Arbeitnehmer*innen mit befristetem oder ganz ohne Arbeitsvertrag beschäftigt sind. Eine Mehrheit von 75 % der Befragten arbeitet ohne angemessene Schutzausrüstung und 79 % sind nicht darin geschult, wie man Chemikalien sicher verwendet. Eine große Anzahl der Befragten leidet unter gesundheitlichen Problemen: 13 % geben an, unter Kurzatmigkeitzu leiden, 28 % unter Hautkrankheiten, 32 % unter Magenbeschwerden und 63 % unter Kopfschmerzen. Gleichzeitig erhalten die Arbeiter*innen nur ein Einkommen unterhalb des Minimums. Der nationale Mindestlohn für Gerbereiarbeit liegt bei 13.500 Taka, umgerechnet etwa 143 Euro, pro Monat. Mehr als die Hälfte (56 %) der Befragten gibt an, unterhalb dieses Minimums bezahlt zu werden. 

Public Eye "«Dark Patterns»: Wenn das Web-Design uns manipuliert": Eine gemeinsame Recherche der Fédération romande des consommateurs (FRC) mit Public Eyezeigt auf, wie stark Konsument*innen beim Mode-Onlineshopping sogenannten "Dark Patterns" ausgesetzt sind (z.B. Rabatt-Codes mit kurzer Laufzeit, Pop-ups mit "Sonderangeboten", Verlockung durch Mehrkauf durch z.B. "Gratis-Artikel", "kostenlose Lieferung ab..." etc.). Bei allen 15 untersuchten Shops (u.a. About YouAsosH&MZalando und Zara) wurden solche manipulativen Design-Elemente gefunden, mit denen zu mehr Käufen und zur Preisgabe persönlicher Daten verleitet werden soll. Doch die Unterschiede zwischen den Plattformen sind erheblich. Den unrühmlichen Spitzenplatz im Ranking nimmt der Fast-Fashion-Gigant Shein ein – mit 18 der 20 untersuchten Dark Patterns. Public Eye fordert ein klares Verbot von Dark Patterns von der Politik. 

Re:Structure Lab "Social Auditing and Ethical Certification": Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wirksamkeit von Sozialaudits und ethischen Zertifizierungssystemen in Bezug auf die Aufdeckung, Bekämpfung und Verhinderung von Zwangsarbeit nach wie vor mangelhaft ist. Dennoch greifen Unternehmen nach wie vor auf diese privaten Instrumente zurück, um ihren Pflichten im Rahmen der Sorgfaltspflicht und der Transparenzgesetze nachzukommen. In dem Kurzbericht wird deswegen untersucht: Wie können Sozialauditierung und -zertifizierung angemessen reguliert oder reformiert werden, um eine Rolle bei der Abschaffung von Zwangsarbeit zu spielen?  Welche Möglichkeiten gibt es, die Kosten für die Schaffung und den Betrieb dieser Mechanismen in wirksamere, arbeitnehmer*innenorientierte Lösungen zu reinvestieren? Der Bericht betont, dass Auditor*innen und Zertifizierer*innen, die Verbraucher*innen und politische Entscheidungsträger*innen über Arbeitspraktiken und Arbeitsbedingungen in die Irre führen, haftbar gemacht werden müssen. Gleichzeitig plädiert Re:Structure Lab dafür, dass die für Audits und Zertifizierungen aufgewendeten Mittel in wirksamere, von den Arbeitnehmer*innen getragene und staatlich gelenkte Lösungen fließen sollten. 

News

Zwangsarbeit: Die Europäische Kommission hat ihre Pläne für ein europäisches Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt werden, veröffentlicht. Der Vorschlag bezieht sich auf alle Produkte, d.h. auf die in der EU für den Inlandsverbrauch und die Ausfuhr hergestellten Produkte sowie auf Importwaren, ohne auf bestimmte Unternehmen oder Branchen abzuzielen. Der Vorschlag muss nun vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union erörtert und verabschiedet werden, bevor er in Kraft treten kann. Er wird 24 Monate nach seinem Inkrafttreten gelten. Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) kritisiert folgende Schwachstellen: keine Rechtsmittel für Opfer; Ermittlungs- und Beweislast liegt bei den EU-Behörden, nicht bei den Unternehmen; schwache Verpflichtung zur Kartierung und Offenlegung der Lieferkette. 

Uiguren

  1. Unabhängige UN-Expert*innen unterstützten die kürzlich veröffentlichte Bewertung des UN-Menschenrechtsbüros zu den Vorwürfen des Missbrauchs in Xinjiang und hoben die Schlussfolgerung der Bewertung hervor, dass "das Ausmaß der willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierung von Angehörigen der Uiguren und anderer überwiegend muslimischer Minderheiten ... internationale Verbrechen, insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darstellen kann". Sie wiesen auch auf die Feststellungen des Berichts hin, wonach es glaubwürdige Anschuldigungen von Folter- oder Misshandlungsmustern, einschließlich medizinischer Zwangsbehandlung und widriger Haftbedingungen, sowie Vorfälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich invasiver gynäkologischer Untersuchungen, und Hinweise auf die zwangsweise Durchsetzung von Maßnahmen zur Familienplanung und Geburtenkontrolle gibt
  2. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die Dynamik der globalen Textilindustrie aufgrund des Inkrafttretens des US-Verbots von Baumwolle aus der Region Xinjiang verändert. Dies liegt daran, dass internationale Marken in der Lage sind, das vollständige und wirksame Verbot von in Xinjiang produzierter Baumwolle mithilfe neuester Technologien wie Blockchain und künstlicher Intelligenz (KI) zu überwachen und umzusetzen. Ein Branchenexperte erklärte gegenüber Fibre2Fashion: "Die US-Behörden verfügen über vollständige Informationen zu den Genen der in Xinjiang produzierten Baumwolle. Die Technologie hat es einfacher gemacht, das Gen in der gesamten Wertschöpfungskette zu verfolgen." Er sagte, wenn ein Exporteur Garn aus einem beliebigen Land kauft und das Rohmaterial, d.h. die Baumwolle einer bestimmten Garnpartie, aus der Region Xinjiang stammt, dann ist das ursprüngliche Gen sehr gut rückverfolgbar. Der Anteil Chinas an den gesamten Bekleidungsimporten der USA ging im ersten Halbjahr '22 von 25 % auf 21 % zurück. 

Produktionsländer

Myanmar: Es gibt eine anhaltende Debatte darüber, ob Unternehmen in Myanmar weiterhin tätig sein können und dabei internationale Standards und Richtlinien für verantwortungsbewusstes Handeln einhalten können. Die Ethical Trading Initiative (ETI) gab deswegen eine unabhängige, faktengestützte Bewertung des Kontextes von Menschenrechten und verantwortungsvollem Geschäftsverhalten in Myanmar in Auftrag. Der Bericht liefert glaubwürdige Beweise für Zwangsarbeit und Ausbeutung (lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden und Schikanen). Darüber hinaus sind die Arbeitnehmer*innen nicht in der Lage, ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrzunehmen (301 Gewerkschafter*innen wurden inhaftiert, 55 wurden umgebracht). Zudem gibt es Fälle von sexueller Gewalt und  Berichte die auf Kinderarbeit hindeuten. Auf der Grundlage dieser Schlussfolgerungen fordert ETI Unternehmen dringend auf, ihre Präsenz in Myanmar zu überprüfen. Sollten sich die Unternehmen dafür entscheiden zu bleiben, müssen sie die Grundsätze der international anerkannten Menschenrechte respektieren. Dazu gehört, dass sie die Elemente des ETI-Basiskodex in allen Zulieferbetrieben so weit wie möglich einhalten und transparent darlegen, wie sie dies tun, einschließlich der Maßnahmen, die sie ergriffen haben, um die kontinuierliche Einhaltung dieser Standards zu gewährleisten. Sollten sich Unternehmen dafür entscheiden, Myanmar zu verlassen, müssen sie dies verantwortungsbewusst und in Absprache mit den Gewerkschaften tun. Die Auswirkungen des Ausstiegs aus Myanmar auf die Arbeiter*innen und ihre Familien müssen bei dieser Konsultation eindeutig im Mittelpunkt stehen. Nach Veröffentlichung des Berichts kündigte PRIMARK einen verantwortungsvollen Rückzug aus Mynamar an: "Vor diesem Hintergrund sehen wir unsere einzige Möglichkeit darin, auf einen verantwortungsvollen Rückzug aus dem Land hinzuarbeiten."

Bangladesch: Unter der Führung der National Garment Workers Federation (NGWF) haben Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie die Regierung aufgefordert, in Anbetracht der steigenden Preise für Lebensmittel und der hohen Lebenshaltungskosten unverzüglich eine Lohnkommission einzurichten, die einen neuen Mindestlohn festlegt (der Mindestlohn wurde das letzte Mal vor vier Jahren erhöht und beträgt 8.000 Taka). Bereits im Juni wurde von einem Abgeordneten der Regierung angekündigt, eine solche Kommission werde bald gebildet. Auch der Handelsminister Tipu Munshi sagte kürzlich, die Forderung der Beschäftigten in der Bekleidungssindustrie nach einer Lohnerhöhung sei angesichts der steigenden Rohstoffpreise nur logisch und unterstützte die Forderung nach einer Lohnkommission. Die Gewerkschaft Garments Sramik Front organisierte Ende August eine Demonstration in Dhaka und forderte 24.000 Tk als niedrigsten Monatslohn für Bekleidungsarbeiter*innen. Kalpona Akter, Geschäftsführerin des Bangladesh Centre for Workers Solidarity (BCWS) forderte während einer Diskussion auf einem Event vom Centre for Policy Dialogue (CPD) einen existenzsichernden Lohn für Arbeiter*innen von mindestens 32.000 bis 40.000 Tk. Das CPD führte auch eine Umfrage durch und stellte fest, dass ein*e Bekleidungsarbeiter*in im März '22 durchschnittlich 11.993 Tk (ohne Überstunden) erhielt (entspricht derzeit ca. 119€). 

Kambodscha: Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Gewerkschaften, der Regierung und den Eigentümern von Bekleidungsfabriken wird der Mindestlohn in Kambodscha auf 200 US-Dollar pro Monat angehoben (Erhöhung um 6 USD). Die Gewerkschaften hatten einen Mindestlohn von 215 USD gefordert, während die Arbeitgeber*innen in den Fabriken eine Beibehaltung des Mindestlohns von 194 USD vorgeschlagen hatten. Die Regierung hatte den Mindestlohn Anfang des Jahres von 192 auf 194 US-Dollar pro Monat angehoben (siehe News Update der Woche 38 in '21). Die Lohnerhöhung wird ab Januar '23 in Kraft treten. Zu Beginn des Monats berichtete IndustriALL von Einschüchterungsversuchen der Polizei gegenüber mehreren Gewerkschaften, die eine Kampagen zur Forderung eines Mindestlohns von 215 USD starteten.