Im November 2021 hat die Zivilgesellschaft im Textilbündnis Weichenstellungen für ein effektiveres und wirksameres Textilbündnis von der frisch startenden Ampelkoalition gefordert. Welche Entwicklungen fanden im Textilbündnis statt – und wie ist dessen Neustrukturierung zu bewerten?
Es hat rund ein Jahr gedauert, bis sich das Textilbündnis eine neue Struktur gegeben hat, die auf der Mitgliederversammlung im November 2022 beschlossen wurde. Im folgenden geben die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft im Textilbündnis eine Einschätzung der neuen Struktur.
Im November 2021 hat die Zivilgesellschaft im Textilbündnis Weichenstellungen für ein effektiveres und wirksameres Textilbündnis von der frisch startenden Ampelkoalition gefordert.
Die Diskussion über eine Veränderung bzw. Weiterentwicklung des Textilbündnis wurde ebenso vor dem Hintergrund sich weiter entwickelnder Rahmenbedingungen durch Regulierungen (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft 2023, EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive, EU Textilienstrategie, Ausgestaltung und EU Trialog 2023) entfacht.
Welche Entwicklungen fanden im Textilbündnis statt – und wie ist dessen Neustrukturierung zu bewerten?
Es hat rund ein Jahr gedauert, bis sich das Textilbündnis eine neue Struktur gegeben hat, die auf der Mitgliederversammlung im November 2022 beschlossen wurde.
Die Weiterentwicklung wurde im Steuerungskreis (28. September 2022) mit dem Dokument “Gesamtkonzept zur Neuausrichtung” beschlossen, um den Fokus auf die Umsetzung von Sorgfaltspflichten und Wirkung vor Ort zu legen und beruht auf drei Pfeilern:
- Umsetzung von Sorgfaltspflichten
- Transparenz in Liefernetzwerken
- Fokusthemen effektiv angehen
Im Folgenden werden die zentralen Änderungen kurz vorgestellt und eingeordnet.
Sorgfaltspflichten
Die prozessuale Umsetzung von Sorgfaltspflichten und die öffentliche Berichterstattung darüber bilden die Grundlage für die Arbeit im Textilbündnis und bleiben Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Während bisher alle Mitgliedsunternehmen (derzeit 75) über die wichtigsten elf Risiken im Bekleidungssektor alle zwei Jahre berichten mussten, wird dies nun für alle großen Unternehmen, die ab 1.1.2023 unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) fallen, aufgehoben. Dies betrifft rund die Hälfte der Mitgliedsunternehmen. Sie können stattdessen ihren Bericht, den sie laut LkSG an das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) schicken müssen, beim Textilbündnis-Sekretariat einreichen. Die Berichterstattung gemäß den Anforderungen des Grünen Knopfes 2.0 (bezogen auf unternehmerische Sorgfaltspflichten) wird ebenfalls als Nachweis der Berichtspflicht anerkannt. Die Anerkennung weiterer Formate muss vom Steuerungskreis auf Empfehlung des Strategiekreises Sorgfaltspflichten beschlossen werden. Die andere Hälfte der Mitgliedsunternehmen muss weiterhin nach dem Reviewformat des Textilbündnisses berichten, das umfassender ist als der Bericht an das BAFA. Die Zivilgesellschaft findet es bedauerlich, dass die anspruchsvollere Berichterstattung im Reviewformat des Textilbündnisses nun für die großen Unternehmen wegfällt, kann aber auch nachvollziehen, dass sich die Lage durch das LkSG verändert hat.
Transparenz
Hier wurde ein Fortschritt erreicht: Alle Mitgliedsunternehmen müssen ihre Lieferanten an das Sekretariat des Textilbündnisses melden, das sie aggregiert auf der Plattform Open Supply Hub veröffentlicht. Bisher war die Meldung freiwillig, jetzt ist sie für alle verpflichtend. Allerdings hätte die Zivilgesellschaft befürwortet, dass eine Zuordnung von Unternehmen und Lieferant ersichtlich wäre. Dagegen gab es entschiedenen Widerstand vor allem von kleinen bis mittelgroßen Unternehmen, die fürchten, dass die Konkurrenz ihnen ihre Produzenten wegnimmt. Die letzten Jahre widersprechen dem allerdings, denn immer mehr Unternehmen veröffentlichen ihre Lieferkette inzwischen selbst – u.a. auch aufgrund von Kampagnen der Clean Clothes Campaign.
Fokusthemen
Vier Fokusthemen wurden als besonders wichtig ermittelt: Existenzsichernde Löhne und Einkaufspraktiken, Geschlechtergerechtigkeit, Kreislaufwirtschaft und Klima, Beschwerdemechanismen und Abhilfe. Um die Wirkung der Aktivitäten der Unternehmen und des Bündnisses insgesamt zu erfassen und darzustellen, wurden zu den vier Themen Key Performance Indicator (KPI) entwickelt, zu denen Mitgliedsunternehmen ab 2024 verpflichtend berichten müssen. Die Berichte werden auf der Website des Textilbündnisses veröffentlicht. Die Indikatoren wurden in den jeweiligen Expert*innengruppen mit den verschiedenen Stakeholdern des Bündnisses entwickelt. Von den Wirtschaftsvertreter*innen im Steuerungskreis wurde die Entscheidungsvorlage dann aber nicht akzeptiert und die Weiterentwicklung nicht mitgetragen. Der Zivilgesellschaft wiederum reichen die formulierten Indikatoren nicht aus, weil sie keine Zeit- und Ergebnisziele formulieren, also Ziele, die innerhalb einer bestimmten Zeit zu erreichen sind. Die Weiterentwicklung der KPI ist laut Beschluss des Steuerungskreises vorgesehen, jedoch besteht seitens der Vertreter*innen der Wirtschaft im Steuerungskreis das Interesse, das Niveau niedrig zu halten.
Eine der wesentlichen Neuerungen ist die Verpflichtung aller Mitglieder, sich in einem Produktionsland in einem Projekt innerhalb eines Fokusthemas oder in einer Bündnisinitiative zu engagieren. Bisher war dieses Engagement freiwillig und es beteiligten sich nur einige wenige Unternehmen in Bündnisinitiativen. Die Mitglieder des Bündnisses können hierfür Projekte vorschlagen. Ziel des gemeinsamen Engagements ist es, durch kollektives Handeln und die Fokussierung ein “Level Playing Field” zu etablieren und darüber konkrete Verbesserungen bei den Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen in den Produktionsländern voranzubringen. Die derzeitigen Fokusthemen dienen als Instrument und sollen als Chance genutzt werden, um wirkungsvolle (Präventions- und Abhilfe-)Maßnahmen zu initiieren und umzusetzen. Die Projekte, die 2023 starten sollen, haben strukturelle Verbesserungen der Arbeits- und Umweltbedingungen zum Ziel. Die Diskussion zu den Fokusthemen auf der Mitgliederversammlung des Textilbündnisses im November 2022 sowie einige der bisher eingereichten Vorschläge von Mitgliedsunternehmen lassen allerdings befürchten, dass die KPI zu den jeweiligen Fokusthemen, aber auch die Kriterien für die Initiativen, bisher ungenügend berücksichtigt werden und ein niedriges Ambitionsniveau besteht. Anhand der Projektpläne und der Umsetzung wird sich zeigen, wie wirksam die Projekte vor Ort sind und ob es wirklich zu einer Bündelung von Initiativen kommt und echte Verbesserungen erreicht werden.
Relevante Themen entfallen
Durch die Konzentration auf Fokusthemen fallen relevante Themen weg. So wurden mit Jahresende 2022 alle bisher bestehenden Expert*innengruppen aufgelöst. Ein Teil dieser Expert*innengruppen geht thematisch zwar in den neuen Fokusthemen auf, andere (siehe folgend) werden aber nicht weiterbearbeitet. Es ist nun dem freiwilligen Engagement einzelner Mitglieder überlassen, diese Themen wieder auf die Agenda zu setzen (bspw. durch Initiativthemen). Fraglich ist, ob sich die Mitglieder angesichts des verpflichtenden Engagements in den Fokusthemen dazu motivieren lassen.
Die Neustrukturierung im Bündnis bedeutet, dass nicht mehr alle Risiken der Lieferkette adressiert werden und somit das Alignment mit dem OECD-Ansatz für Sorgfaltspflichten nicht mehr besteht. Das ist eine Schwächung des bisher umfassenderen Ansatzes. Hinzu kommt, dass einige der bisherigen Themen auch nicht über das LkSG abgedeckt werden. Dies betrifft insbesondere Themen wie Zwangsarbeit, Transparenz und Korruption oder einige Umweltthemen wie Abwassermanagement sowie nachhaltige und synthetische Naturfasern. Auch Bündnisunternehmen werden dazu nicht mehr berichten, wodurch es unwahrscheinlich ist, dass diese relevanten Themen in der Risikoanalyse sowie in der Bearbeitung adressiert werden.
Weiterentwicklung der Governance-Struktur
Sicherlich treffen in einer Multi-Akteurs-Partnerschaft unterschiedliche Erwartungshaltungen der Anspruchsgruppen aufeinander. Auch deshalb beschäftigt sich das Textilbündnis erneut mit der Etablierung einer neuen Governance-Struktur, in der es auch um das Selbstverständnis des Textilbündnisses geht: Ist das Bündnis eine Initiative, die zumindest in den Fokusthemen über die Anforderungen des LkSG hinausgeht? So wichtig diese Governance-Debatte ist: Das Bündnis muss 2023 in die Umsetzung kommen und nicht erneut primär Strukturdiskussionen führen.
Da die Finanzierung bis Ende 2023 seitens des BMZ sichergestellt, für die Folgezeit aber unklar ist, wie Ressourcen (finanziell und personell) bereitgestellt sein werden, wird es auch von der künftigen Finanzierungsstruktur abhängen, welche Rolle das Bündnis im politischen Prozess spielen wird. Somit wird die Relevanz des Textilbündnisses auch vom politischen Willen und der Bewertung der Bundesregierung abhängig sein.
Fazit
Festzustellen ist, dass die Beschlüsse und Aktivitäten des Textilbündnisses in den letzten sieben Jahren kaum Fortschritte bei der Verbesserung von Arbeitsbedingungen vor Ort brachten. Daher ist zu konstatieren, dass bislang kein messbarer Fortschritt bei zentralen Themen besteht (Existenzsichernde Löhne, nachhaltiger Fasereinsatz, “Phase out” gefährlicher Chemikalien, Kreislaufwirtschaft, Gender-based Violence, integre Geschäftspraktiken und Prävention von Korruption). Dass Fortschritte nicht gemessen und benannt werden können, liegt auch daran, dass der Steuerungskreis sich nicht auf ein solides Instrument zur Wirkungsmessung einigen konnte.
In welcher Weise das Konzept zur Weiterentwicklung des Bündnisses größere Wirksamkeit vor Ort entfaltet, ist derzeit unklar. Einige Elemente – wie die Veröffentlichung der aggregierten Lieferantenliste, die verpflichtende Beteiligung der Unternehmen, der Zivilgesellschaft bzw. von Gewerkschaften an den Projekten in den Fokusthemen – gehen in die richtige Richtung.
Im April 2023 jährt sich Rana Plaza zum 10. Mal. Diese Katastrophe und ebenso die Fabrikbrände von Ali Enterprise und Tazreen sind Anlass, dass es das Textilbündnis gibt. Die Impulse für strukturelle Veränderungen, die es gesetzt hat, bspw. zu Einkaufspraktiken, Reduzierung der Klimaauswirkungen, Aufbau von Kreislaufwirtschaft sowie Geschlechtergerechtigkeit sind positiv zu bewerten. Doch muss es vor dem Hintergrund neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen zeigen, dass es die Chance, gemeinsam mit Unternehmen und der Zivilgesellschaft Kräfte zu bündeln und vor Ort Verbesserungen zu erzielen, ergreift. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Wille zur Veränderung bei allen Anspruchsgruppen vorhanden ist. Diesen Willen nimmt die Zivilgesellschaft bei einigen Mitgliedsunternehmen wahr, jedoch längst nicht bei allen.
Januar 2023
Vertreter*innen der Zivilgesellschaft im Textilbündnis (FEMNET, INKOTA-netzwerk, HEJSupport) sowie SÜDWIND-Institut