Aktuelles/Briefing Room

Studien und Co.

Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. & GEULEN & KLINGER Rechtsanwälte "Rechtsgutachten zur Akkreditierungspflicht von nachhaltigen Verbrauchersiegeln im Textilsektor" (PDF-Datei) und Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. & Öko-Institut e.V. "Haftungsrechtlicher Rahmen von nachhaltiger Zertifizierung in textilen Lieferketten" (PDF-Datei): Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat zwei Rechtsgutachten zur Nachhaltigkeitszertifizierung von transnationalen textilen Lieferketten veröffentlicht. Die juristischen Gutachten sind in der Debatte zu nationalen und EU-Lieferkettengesetzen hochinteressant, da das Verhältnis von Zertifizierung zu Lieferkettengesetzen bisher juristisch nicht in dieser Tiefe durchdrungen wurde. Die Gutachter*innen kommen zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer Akkreditierungspflicht von Nachhaltigkeitssiegeln im Textilsektor auf nationaler Ebene rechtlich problematisch, aber auf EU-Ebene möglich und auch effektiver wäre. Zudem gibt es verschiedene rechtliche Handlungsmöglichkeiten, um die Verantwortung von Zertifizierungsorganisationen sicherzustellen und die Verlässlichkeit von Zertifizierungen zu erhöhen. Auf Grundlage der Gutachten fordert der vzbv daher: den haftungsrechtlichen Rahmen von Nachhaltigkeitszertifizierung in Lieferketten zu verbessern; Zertifiziererpflichten auf nationaler oder europäischer Ebene gesetzlich zu verankern, um Anreize für Zertifizier zu schaffen, die Qualität und Integrität von Zertifizierungen zu erhöhen; eine europäische Akkreditierungspflicht für Nachhaltigkeitssiegel im Textilsektor bei den zuständigen staatlichen Stellen einzuführen; dass Nachhaltigkeitssiegel (Zertifizierung der Produktion vor Ort) nicht als Nachweis für unternehmerische Sorgfaltspflichten im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Betracht kommen dürfen.

European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) "EU model law on corporate accountability in global value chains" (PDF-Datei): ECCJ fordert seit langem eine EU-Gesetzgebung zur verpflichtenden Sorgfaltsprüfung im Bereich der Menschenrechte und des Umweltschutzes, inklusive Unternehmenshaftung, die Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren globalen Wertschöpfungsketten zu erkennen, zu verhindern, abzumildern und darüber Rechenschaft abzulegen. Durch EU-weit verbindliche Rechtsvorschriften würde die EU ihre internationalen Verpflichtungen im Rahmen der UNGPs erfüllen und gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleisten. Zudem würde der derzeitige Trend zu einem Wettlauf nach unten in Bezug auf die Sozialstandards umgekehrt werden. Auch ausländische Unternehmen wären verpflichtet, Maßnahmen zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht zu ergreifen, um im Binnenmarkt tätig zu werden. Der ECCJ hat eine Reihe von Mindestvorschriften identifiziert und detailliert aufgeführt, die solche Rechtsvorschriften enthalten sollten, um einen wirksamen und umfassenden EU-Rechtsrahmen zu gewährleisten. Der Entwurf macht Druck auf die EU-Kommission endlich einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.

HEJ!Support & www.sustaininfo.de "Voices on Textiles #2": Für diese Ausgabe wurden die folgenen Personen aus der Branche interviewt: Brigitte Zietlow, Senior Expertin für die Textil- und Lederindustrie im Umweltbundesamt (UBA), Johannes Norpoth, Koordinator der zivilgesellschaftlichen Gruppe in des Bündnisses für nachhaltige Textilien, Jürgen Janssen, Leiter des Büros für die Partnerschaft für nachhaltige Textilien. Mehrere Artikel gehen also direkt auf sas Textilbündnis ein. Zudem sind Artikel von Maria Delfina Cuglieva Wiese, SAICM-Sekretariat bei UNEP und Eugeniy Lobanov, Direktor von Ecoidea, Belarus enthalten.

Unternehmerische Sorgfaltspflichten & Berichtspflichten: KNOWTHECHAIN und Business & Human Rights Resource Center "Closing the gap - Evidence for Effective Human Rights Due Diligence from Five Years Measuring Company Efforts to Address Forced Labour" (PDF-Datei): In diesem Briefing wird anhand von Unternehmensberichten untersucht, welche Aspekte von Sorgfaltspflichten die Unternehmen umsetzen, insbesondere welche Maßnahmen sie ergreifen, um Zwangsarbeit in ihren Lieferketten zu vermeiden. In einer Tabelle werden 180 Unternehmen (u.a. Adidas, H&M, Hugo Boss, Primark, und Puma) gelistet und ihr Engagement vor allem in Bezug auf Anwerbegebühren aufgeführt. Insgesamt berichten die Unternehmen zu selektiv und zu wenig. Zudem gibt es zu wenig verpflichtende Indikatoren. Alliance for Corporate Transparency "Summary report: How are national authorities enforcing the disclosure obligations introduced by the EU Non-Financial Reporting Directive?": Frank Bold (eine unabhängige, zweckorientierte Anwaltskanzlei) wählte einige der schlimmsten Fälle von Nichteinhaltung der EU-Reporting Direktive aus und forderte die nationalen Durchsetzungsbehörden förmlich auf, diese Fälle zu prüfen und im Einklang geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Der daraus resultierende zusammenfassende Bericht zeigt einen allgemeinen Mangel an Transparenz in den Verfahren, mangelnde Klarheit darüber, welche Behörden für Sanktionierung von Mängeln zuständig sind und die allgemeine Schlussfolgerung, dass die nationalen Behörden nicht in der Lage sind, die Qualität der offengelegten Informationen zu prüfen oder gar Maßnahmen zu ergreifen.  Die Alliance for Corporate Transparency fordert deswegen, dass der aktuelle Vorschlag zur Reform der EU-Richtlinie über die Non-Financial Reporting Directive hinsichtlich dieser Probleme durch EU-Parlament und Rat nachgebessert werden muss. Diese Erkenntnis ist auch in Bezug zum Lieferkettengesetz interessant, da sich die Frage stellt, ob die Behörden angemessene Kapaziäten haben werden, um gemeldeten Risiken nachgehen zu können. ASOS veröffentlicht ersten Bericht zu eigenem wirtschaftlichem und sozialem Einfluss. Das Unternehmen hat sieben Bereiche von Oxford Economics untersuchen lassen: seinen direkten und weiterreichenden Einfluss auf die britische Wirtschaft, seinen Einfluss vor Ort und die Weltwirtschaft, seinen Beitrag zur Qualifikation und der Wissensbasis in Großbritannien, der Asos-Marktplatz als Wachstumstreiber für kleine und mittelständische Betriebe, Beschäftigte und seine Fortschritte in Bezug auf Unternehmensverantwortung. Kritisch gesehen muss bei dieser neuen Art der Berichterstattung jedoch, dass durch das Weglassen der Darstellung von prekären Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern und negativen ökologische Aspekte die öffentliche Wahrnehmung getäuscht werden könnte.

News

Lieferkettengesetz: Eine New Yorker Koalition hat letzte Woche mit dem Vorschlag eines Fashion Acts für Aufsehen gesorgt, der alle großen Marken für ihre ökologischen und sozialen Auswirkungen zur Verantwortung zu ziehen soll. Die Assembly Bill A8352 verlangt von Modeeinzelhändler und -hersteller*innen die Offenlegung von der Umsetzung von Umwelt- und Menschenrechts-bezogener Sorgfaltspflichten und sieht die Einrichtung eines gemeinnützigen Fonds zur Umsetzung eines oder mehrerer gemeinnütziger Projekte vor, die direkt und nachweislich umweltgerechten Gemeinden zugute kommen. In einem Artikel der Vogue werden die Vor- und Nachteile aufgeschlüsselt und erläutert, was dies für die Branche bedeutet. Der Fashion Sustainability and Social Accountability Act würde alle Modeunternehmen, die in New York ihre Produkte verkaufen und einen Umsatz von mehr als 100 Mio. US$ erzielen, dazu verpflichten, mindestens 50% ihrer Lieferketten zu kartieren und Auswirkungen wie Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch und Chemikalieneinsatz offenzulegen. Der Gesetzentwurf gibt nicht an, welche 50%, sondern fordert die Marken dazu auf, sich auf die Bereiche mit den größten sozialen und ökologischen Risiken zu konzentrieren. Die Marken wären auch verpflichtet, ihre Auswirkungen zu reduzieren, unter anderem durch die Festlegung und Einhaltung wissenschaftlich fundierter Reduktionsziele für ihre Treibhausgasemissionen. So müssten die Marken auch die Durchschnittslöhne für die Arbeitnehmer*innen und die Maßnahmen zur Verankerung eines verantwortungsvollen Verhaltens in Politik und Managementsystemen offenlegen. Damit wäre die Berichterstattung strenger reglementiert als durch das deutsche Lieferkettengesetz. Bußgelder, die Markenunternehmen bei Nichteinhaltung des Gesetzes auferlegt werden, würden in einen Gemeinschaftsfonds fließen, der für Projekte zur Förderung der Umweltgerechtigkeit in New York verwendet würde.

Plattform für verantwortungsvolle Beschaffung: Google hat den Global Fibre Impact Explorer (GFIE) ins Leben gerufen, um Unternehmen die Daten zur Verfügung zu stellen, die sie für verantwortungsvolle Beschaffungsentscheidungen brauchen. Das Programm wurde in Zusammenarbeit mit dem WWF und einer Reihe von Modeunternehmen und Organisationen entwickelt. Das Hauptziel der Plattform ist es, Marken bei der Identifizierung von Hochrisikofasern in ihren Betrieben zu unterstützen und ihnen zu helfen, die potenziellen Auswirkungen und Risiken bestimmter Beschaffungsentscheidungen zu verstehen. Das Programm, das auf der Google Earth Engine basiert und Google Cloud-Technologie nutzt, bewertet das Umweltrisiko verschiedener Fasern in verschiedenen Regionen und zeigt Informationen zu Luftverschmutzung, Biodiversität, Klima und Treibhausgasen, Forstwirtschaft und Wassernutzung an. Die Risikobewertung ist für über 20 verschiedene Fasertypen verfügbar, darunter natürliche und synthetische Materialien. Google arbeitet hierbei mit den Marken Stella McCartney, Adidas, Allbirds, H&M Group und VF Corporation zusammen, um die Bedürfnisse der Branche zu verstehen und die Plattform zu testen. Da die anfängliche Entwicklungsphase nun abgeschlossen ist, soll die Plattform an die Organisation Textile Exchange übergeben werden.

EU-Wettbewerbsrecht: In einem gemeinsamen Brief an die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission (PDF-Datei) fordern die AIM European Brands Association, Fair Wear und das Fair Trade Advocacy Office Wettbewerbsregeln, die der sozialen Nachhaltigkeit dienen. Darin heißt es: "Während Unternehmen einige sinnvolle Nachhaltigkeitsziele im Alleingang erreichen können und dies auch tun, erfordern tiefer liegende strukturelle Probleme Partnerschaften und kollektives Handeln unter Einbeziehung eines breiten Spektrums von Interessengruppen. Für viele Unternehmen kann dies bedeuten, dass sie sich mit Behörden, Nichtregierungsorganisationen, Forscher*innen, Fachleuten des Gesundheitswesens, Landwirt*innen, Lieferant*innen, Einzelhändler*innen und/oder anderen Unternehmen, einschließlich Wettbewerber*innen, zusammenschließen. Die Europäische Kommission solle daher klären, ob und wie die EU-Wettbewerbsregeln Multi-Stakeholder-Initiativen zu existenzsichernden Löhnen oder existenzsichernden Einkommen zulassen."

Produktionsländer

Bangladesch: Die Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (BGMEA) und die Bangladesh Knitwear Manufacturers and Exporters Association (BKMEA) haben sich zusammengeschlossen, um einen Mindestpreis für ihre Produkte festzulegen, damit sie von internationalen Einzelhändler*innen und Marken einen "ethischen" Preis erhalten.

Vietnam: FashionUnited berichtet über den Textil- und Bekleidungssektor Vietnams, der sich nach der Lockerung der Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle von COVID-19 wieder erholt. Nach einer beispiellosen Entlassungswelle, durch die 1,3 Mio. Wanderarbeitende, die von Juli bis September letzten Jahres in ihre Heimatregionen zurückkehrten, erholte sich die Branche im letzten Quartal und das Wachstum des Sektors ist wieder auf das Niveau vor dem Ausbruch des Coronavirus zurückgekehrt. Cao Huu Hiêu, Generaldirektor von Vinatex, berichtet der Zeitung Le Courrier du Vietnam, dass im Oktober bereits 90 Prozent der Beschäftigten der Unternehmen der Gruppe wieder an die Arbeit gegangen seien (inzwischen seien es fast 100 Prozent): „Die hohe Wachstumsrate im vierten Quartal hat es der Textil- und Bekleidungsindustrie ermöglicht, das Exportziel von 39 Mrd. US$ für das gesamte Jahr zu erreichen, was einer Steigerung von fast 12% gegenüber 2020 entspricht."

Pakistan & Indien: Die versprochene Lohnerhöhung in der pakistanischen Provinz Sindh ist nach einem Jahr immer noch nicht umgesetzt (siehe News Update KW 50). Die Fabrikbesitzer*innen hatten sich zusammengeschlossen, um gegen die Anordnung Einspruch zu erheben. Der Oberste Gerichtshof von Sindh ist dabei, ein endgültiges Urteil zu fällen, und eine Entscheidung wird noch in diesem Monat erwartet. In der Zwischenzeit erhalten die Beschäftigten weiterhin kaum genug zum Leben, doch die Bekleidungsmarken, die ihre Waren aus der Provinz beziehen, darunter H&M, C&A und Aldi Nord schweigen trotz ihrer Versprechen an der Erreichung von Living Wages zu arbeiten. Die Situation in Sindh ist Teil eines Musters der Untätigkeit von Markenunternehmen, und es gibt deutliche Parallelen zwischen dieser Situation und dem massenhaften Lohndiebstahl in Karnataka, Indien. Nach einer staatlich verordneten Mindestlohnerhöhung im April 2020 haben mehr als 400.000 Bekleidungsarbeiter*innen immer noch nicht diesen neuen gesetzlichen Mindestlohn erhalten - trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofs von Karnataka im September 2020, wonach der Mindestlohn einschließlich aller Rückstände an die Arbeiter*innen zu zahlen ist. Marken, die in Karnataka einkaufen, wie H&M und C&A, haben wenig getan, um diesen monumentalen Lohndiebstahl in ihren Lieferketten zu verhindern. Die Marken tragen einen großen Teil der Verantwortung dafür, dass sich die Zulieferbetriebe nicht in der Lage fühlen, die höheren Arbeitskosten zu tragen: In Karnataka gaben die Marken zahnlose Erklärungen ab, in denen sie ihre Zulieferer*innen aufforderten, sich an den gesetzlichen Mindestlohn zu halten. In Sindh haben sich die Marken kaum zu Wort gemeldet. Die Clean Clothes Campaign macht im Zuge der #PayYourWorkers-Kampagne auf diesen Lohndiebstahl aufmerksam. Das Worker Rights Consortium hat einen Tracker eingerichtet, der die Höhe des Diebstahls sekündlich updated.

Unternehmen im Textilbündnis

Primark: Das niedersächsische Landesarbeitsgericht hat die umstrittene Kündigung eines leitenden Betriebsrats bei Primark für unzulässig erklärt. Der örtliche Betriebsratsvorsitzende hatte laut der Gewerkschaft Verdi einen Dienstplan-Entwurf aus dem Homeoffice an Mitglieder einer Einigungsstelle gemailt, die über betriebliche Arbeitszeitregelungen verhandelte. Primark habe daraufhin argumentiert, er habe auf diesem Weg vertrauliche Angaben von einem privaten Gerät weitergeleitet, was eine schwere Verletzung interner Richtlinien darstelle.